Natürlich Wickeln, also Wickeln ohne Plastik?! Warum ist das gut? Geht das überhaupt? Ist das aufwändig? Lohnt sich das? Was muss ich beachten? Wie fange ich an?

Die Wegwerfwindel – Ein kritischer Blick auf den Klassiker

Fernab der Säuglingshygiene aus Großmutters Zeiten, ist die Wegwerfwindel seit ihrer Erfindung im Jahre 1961 ein absolutes Erfolgsmodell und hat einen regelrechten Siegeszug über alle Kontinente angetreten. Mit ihrer Kombination aus Polyethylen, Polypropylen, Vitamin E und Superabsorbern (Quelle) schien sie die perfekte Antwort auf die Bedürfnisse gestresster Eltern zu sein – praktisch, hygienisch und immer griffbereit. Doch die Zeiten ändern sich.

Oft keimt heute aber in den Eltern die Idee auf, das auf Konsum getrimmte Leben spätestens mit der Ankunft des Nachwuchses neu zu überdenken. Sie werfen einen kritischen Blick auf Ernährung, Kleidung und Spielzeug – und landen zwangsläufig auch beim Thema Windeln. Kein Wunder, denn die Fakten sind beeindruckend: Rund 2.000 Euro geben Eltern während der gesamten Wickelzeit für Wegwerfwindeln aus. Drei Jahre lang kommt das kleine Plastikpaket Tag und Nacht mit der empfindlichen Babyhaut in Berührung.

Doch nicht nur der gesundheitliche und finanzielle Aspekt gibt zu denken. Der ökologische Fußabdruck einer Wegwerfwindel ist enorm: Von der chemikalien- und ressourcenintensiven Produktion über den Transport zum Supermarkt bis hin zur Entsorgung im Hausmüll – der Kreislauf erscheint alles andere als nachhaltig. Vor allem, wenn man bedenkt, wie lange (oder eher kurz in Bezug auf Herstellung und Vermarktung) eine Wegwerfwindel benutzt wird.  Irgendwie nicht clever?!

Trotzdem greifen viele Eltern automatisch zu Wegwerfwindeln – oft schlicht aus Unwissenheit über praktikable Alternativen. Dabei gibt es sie durchaus, die ökologisch sinnvollen und alltagstauglichen Möglichkeiten des Wickelns. Wie diese aussehen können?

Öko-Wegwerfwindeln – Eine echte Alternative?

Die alten Vorstellungen über Stoffwindeln sind immer noch omnipräsent: stinkende Wäscheberge, Wäschezuber mit eingeweichten Windeln, penetranter Geruch und diese berüchtigten luftdichten Gummihöschen. Kein Wunder also, dass viele Eltern nach einem Mittelweg suchen – und bei Öko-Wegwerfwindeln landen.

Sind sie wirklich ein guter Kompromiss? Der Markt hat diese Nachfrage erkannt. Verschiedene Hersteller werben mit mehr oder weniger abbaubaren Materialien und versprechen eine umweltfreundlichere Alternative zur klassischen Wegwerfwindel. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die perfekte Lösung sind auch sie nicht. Trotz intensiver Entwicklung ist es bisher niemandem gelungen, eine vollständig kompostierbare Windel zu produzieren.

Auch wenn die verwendeten Rohstoffe nachwachsend sind – der grundlegende Kreislauf bleibt derselbe: Für jede einzelne dieser teuren Öko-Windeln müssen Rohstoffe angebaut, geerntet und aufwändig verarbeitet werden – nur um am Ende doch nach kurzer Nutzung im Müll zu landen. Ein echter Durchbruch in Sachen Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Moderne Stoffwindeln – Revolution oder neue Probleme?

In den letzten Jahren hat sich im Bereich der Stoffwindeln viel getan. Die großen Entwicklungssprünge sind beeindruckend: Moderne Materialien wie atmungsaktives PUL (Polyurethanlaminat) machen das Wickeln heute deutlich hautfreundlicher und unkomplizierter. Kombiniert mit schnell trocknenden, saugstarken Mikrofasereinlagen entstand so ein völlig neuer Markt: Moderne Stoffwindeln!

Auf den ersten Blick scheint diese Polyestervariante die perfekte Lösung zu sein. Sie ist einfach in der Handhabung und – der größte Pluspunkt – wiederverwendbar. Damit liegt sie in Sachen Ressourcenschonung weit vor jeder Wegwerfwindel. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Stoffwindel ist nicht gleich Stoffwindel – und vor allem ist nicht alles automatisch ökologisch oder natürlich, was sich Stoffwindel nennt.

Mikrofaser und Polyurethan sind und bleiben Erdölprodukte – also Chemiefasern aus einer begrenzt verfügbaren Ressource. Besonders problematisch: Beim Waschen geben diese Kunststoffwindeln Mikroplastik ans Abwasser ab, wie auch der NABU in seinen Studien bestätigt. Hinzu kommt, dass viele der günstigen Marken aus Kostengründen in China produziert werden. Über die Herstellungsmethoden und deren Umweltauswirkungen ist dabei meist wenig bekannt.

Das Wickeln mit Naturmaterialien hat aber auch seine Tücken: Pestizidbeladener und ethisch fragwürdiger Baumwollanbau, tierquälerische Haltungsmethoden bei Schafswolle, viel Arbeitsaufwand und hohe Kosten sind hier die Hauptkritikpunkte.

Und jetzt die gute Nachricht: Intelligente Tricks und der bewusste Kauf von zertifizierten Windeln, machen das Wickeln mit Naturmaterialien doch noch zu einer ziemlich runden Sache. An erster Stelle steht hier Upcycling! Das heißt, gebrauchte Ware kaufen. Etwaige Schadstoffe sind längst herausgewaschen und es muss nichts neu produziert werden. Um beim Neukauf wirklich ökologisch und ethisch sinnvoll zu wickeln, sollte unbedingt auf Zertifikate geachtet werden. Deshalb bei Baumwolle auf Bioqualität setzen (Siegel: kbA = kontrolliert biologischer Anbau ohne Pestizide, besser noch GOTS), und bei Wolle unbedingt zertifizierte Ware kaufen (Siegel: kbT = kontrolliert bilogische Tierhaltung ohne Mulesing). Wenn kein Zertifikat vorhanden ist, kann die Anwendung von Mulesing nicht ausgeschlossen werden, gerade bei Wolle aus Australien und Neuseeland ist ungemulete Wolle eine teure Seltenheit. KbT bedeutet auch, dass die Schafe relativ artgerecht gehalten werden und gentechnisch veränderte Futtermittel verboten sind. Mehr dazu hier. Hanf dagegen benötigt zum Anbau kaum Pestizide. Wer als praktisches back-up oder für unterwegs doch einpaar PUL-Produkte kaufen möchte, sollte zumindest darauf achten, dass das Material schadstoffgeprüft ist. Z.B. Oeko Tex 100 oder CPSIA (eine Liste der zertifizierten Windeln gibt es hier). Im Bereich der Naturmaterialien, wird bei den meisten Herstellern darauf geachtet, weitgehend auf Plastikanteile an der Windel zu verzichten. 100% plastikfrei und ökologisch ist möglich, jedoch meist nicht im Alltag für die Familien umsetzbar. Deswegen drücken wir beim Thema Druckverschluss aus Plastik (Snaps), Klett- und Reißverschluss gerne mal ein Auge zu. Was jedoch auf jeden Fall kompromisslos umsetzbar ist: Plastikfrei am Kind! Das heißt, das Kind berührt kein Plastikmaterial, sondern nur Wolle, Baumwolle oder Hanf.

Auf einen Blick: Windeln aus Naturmaterialien

Vorteile:

  • Keine Förderung von Erdölprodukten
  • Keine Chemiefasern auf Babys Haut
  • Wollüberhosen sind selbstreinigend und wäschesparend
  • Atmungsaktiver geht es nicht, die Haut bleibt in ihrem natürlichen Gleichgewicht
  • Naturmaterialien sind hautfreundlich und werden oft besser vertragen als Mikrofaser
  • Beim Waschen entsteht kein Mikroplastik, welches die Seen, Flüsse und Meere belastet
  • Gesundheitlich unbedenklich, besonders wenn die Materialien biologisch und Oeko-Tex geprüft sind
  • Langlebig, meist haben mehrere Generationen etwas von der Anschaffung
  • In der Entsorgung (also wenn sie tatsächlich unbrauchbar geworden sind) problemlos biologisch abbaubar
  • Nachwachsende Rohstoffe
  • In der Summe preisgünstiger

Nachteile:

  • Punktuell höherer Arbeitsaufwand: Die Wollüberhose muss nach dem Waschen gefettet werden (circa alle 2 Wochen oder nach Stuhlkontakt)
  • Sie eignet sich weniger für Aktiviäten im Dreck (z.B. im Sommer auf dem Wasserspielplatz), hierfür All-In-Ones nutzen, die innen aus Biobaumwolle/Hanf bestehen und aussen eine abwaschbare PUL-Schicht haben
  • Bei Baumwollproduken ohne kbA/GOTS Zertifikat ist der ökologische Fußabdruck sehr hoch
  • Der Kauf von Wolle ohne Zertifikat fördert Massentierhaltung/Tierleid und gentechnisch veränderte Futtermittel (mehr dazu hier)
  • Hoher einmaliger Anschaffungspreis
  • Teilweise lange Wartezeiten auf handgenähte Wollsnap-Überhosen